Beilage der Pommerschen Blätter für die Schule und ihre Freunde.
Jugendschriften-W arte,
Organ der vereinigten deutschen Prüfungs-Ausschüsse fdr lugendschriften.
BegrOndet 1893 von Paul Ziegler-Berlin.
Herausgegeben vom Hamburger Jahres-Abonnement für 12 Nummern
Prüfungsausschuß für .Tugendschriften Verantwortlicher Redakteur: 1.20 tW. Vertrieb für den Buchhandel
1. A. : Heinrich Wolgast, durch
Her n. L. KSster, Hamburg 23, v. Essenstr. 10. Hamburg-Puhlsbüttel, Brombeerweg 41. Ernst Wunderlich in Leipzig.
No. 1. Januar 1908. 16. Jahrgang.
Altersmundart. — Eine Erwiderung.*)
Herrn. L. Köster-Hamburg.
Nicht gern nehme ich das Wort, um mich in der J.-W.
der Angriffe auf meine Ausführungen in der Broschüre „Kri
tische Betrachtungen über Hauslehrerbestrebungen und Alters-
mundait“**) zu erwehren; ich darf nicht voraussetzen, daß viele
l.eser den Ottoschen Hauslehrer kennen; ich darf nicht voraus
setzen, daß sie meine Broschüre und Ottos Erwiderung***)
darauf gelesen haben. So fehlen für die meisten Leser die
wichtigsten Grundlagen, um der Polemik mit Sachkenntnis zu
folgen, und ich kann bei dem beschränkten Raum der J.-W.
diese Grundlagen durch ausgedehntes Citieren leider nicht
schaffen. Bei zwei Angriffen darf ich ein Bekanntsein schon
eher voraussetzen, bei Päpke und Röttger, deren Ausführungen
im September re,sp. Oktober in der J.-W. abgedruclct sind. Auf
eie werde ich zunächst eüigehen.
Päpke behauptet ich hätte niclit gesagt, daß gedruckte
Altersmundart, irgend welchen Schaden anrichte. Habe ichs
wirklich nicht? Sage ich nicht auf S. 28, daß die gedruckte
Altersmundart den Eindruck des Zurechtgemachten, des Un
natürlichen, de,s Manierierten mache? Oler meint Päpke, die
Einwirkung einer sprachlichen Manier auf die Kinder bedeute
keinen Schaden für sie? Daun allerdings —. Um uns klar zu
werde», was ich unter Manier verstehe, wähle ich einen
Artikel von Päpke selbst: Geschichtszahlen (in Nr. 3-3 des
Hauslehrers). Wenn Päpke da .sagt: „Von 1870 da gibt es
noch eine ganze Menge alle Soldaten“, oder „Aber 1813 da
gab es gar keinen deutschen Kaiser“, und wenn sich diese
Anwendung de. „da“ in einer Spalte 8 mal wiederholt —
oder wenn Päpke schreibt: „Der ist 1813 doch schon mit-
gcwe-sen“. oder: „Er war- doch 1797 geboren“, und dieses
„doch“ wiederholt sich ömal in dersilbea Spalte, in der die
8 „da“ stehen, und wenn dann noch Sätze hinzukommen wie :
„Aber Friedrich IV. der halte keine Kinder“, oder: „Der
Kaiser Franz der war eigentlich auch deutscher Kaiser“, so
halte ich das für Manier, für eine ganz unerträgliche Manier,
die mir das allergrößte tjnbehagen bereitet, und die zur Er
leichterung des Verständnisses nicht das geringste beiträgt —
nicht das geringste — es ist nichts weiter erreicht, als daß die
Sprache Päpkes unger.ießbai" wird. — Wenn Päpke hervorbebt,
auch ich gebrauche Wörter wie „dann“ und „so“, die in den
betreffenden Sätzen fehlen könnten, so stimmt das zwar: es ist
nur ein kleiner Unterschied zwischen ihm und mir: ich ge
brauche die Wörter sparsam, entweder zum leise betonten
Herausheben des Gedankens, oder zum Betonen der Beziehung.
Päpke aber scheint geradezu darnach zu suchen, wo sich noch
ein da oder doch anbringen läßt. Dabei gebrauchen nach
meinen Beobachtungen die Kinder selbst diese Wörter gar
nicht eo häufig, besonders die größeren nicht, für die der
Artikel bestimmt ist. Zum mindesten ist es bei den ver
schiedenen Kindern sehr verschiedenen : ich kenne z. B. Kinder,
die fortwährend das Wort „nicht“ gebrauchen, andere, die
fortwährend d.os Wort „nun“ anwenden (Als ich nun an den
Weg kam . . . ). Aber wenn auch bei Kindern der Gebrauch
von da und doch und der so allgemein und so häufig wäre,
wie Päpke und Otto anzunehmen scheinen, ao tvürde diese
kindliche Angewohnheit noch nicht das Herübemehmen in die
*) Infolge Platzmangels zurückgestellt. D. Red.
**) Leipzig. 1907, E. Wunderlich. 0,50 M.
***) In der Beilage zum Hauslehrer von 14. Juli 1907.
Schriftsprache des Erwachsenen rechtfertigen, auch da nicht,
wo der Erwachsene sich einer Altersmundart annähert. Denn
was man beim Kind als Unbeholfenheit hinnimmt, ja was im
Munde des Kindes drollig oder gar wertwoU erscheint, kann
beim Erwachsenen als Mache, vielleicht sogar als Albernheit
wirken. Und dann muß ich allerdings sagen : wenn mir ein.
Kind in einer schriftlichen Darstellung fortwährend mit da
und doch und nicht und nun kommt, so streiche ich ihm diese
Häufung als Angewohnheit an, genau so, wie ich ihm keine
grammatischen Fehler durchgehen lassse, oder wie ich Sätze
anstreiche wie: Der Eimer in der Küche, da sind Kohlen in;
oder die beliebte Konstruktion : der Vater sebi Hut oder den
Vater sein Hut, die Mutter ihr Tuch usw.
Nun meint Päpke, wenn ich dem Kinde das Recht zu
gestehe, so zu schreiben, wie es spricht, so dürfe ich dem
Erwachsenen dies Recht nicht vorenthalten. Hier müssen wir
sorgfältig unterscheiden: Wenn Päpke sagen will, daß jeder
die Eigenart seiner Sprache auch in der .Schriftsprache zum
Ausdruck bringen darf, so stimme ich ihm zu. Wenn er aber
meint, jeder dürfe wortwörtlich so schreiben, wie er nun mal
spricht — na ja, das Recht hat ja schließlich jeder, aber ob
dabei etwas Gutes zu stande kommt, das ist die Frage. Ich
behaupte: in 90 von 100 Fällen: nein.
Es ist sehr merkwürdig, daß manche Menschen jiicht
begreifen können, daß zwischen mündlicher mid schriftlicher
Darstellimg ein gewaltiger Unterschied besteht. Ich habe
häufig Gelegenheit gehabt, Manuskripte von Märchen und
j Geschichten zu lesen. Und wenn ich dann gezwungen war»
; die Manuskripte als ungeeignet für die Drucklegung zurtick-
i zuschicken, so erhielt ich fast jedesmal zur Antwort: Aber die
i Geschichten haben doch schon die Feuerprobe bestanden, sie
! sind ja im Verkehr mit Kindern entstanden, die Geschichten
i sind alle bereits erzählt und die Kinder haben sie mit großem
1 Jubel aufgenommen. — Jch habe diese Beteuerungen nie be
zweifelt, denn ich weiß, wie gern Kinder zuhören, wenn man
ihnen etwas erzählt. Aber etwas ganz anderes ist es, wenn
solche Märchen oder Geschichten aufgeschrieben sind, wenn
dem toten Buchstaben der belebende Hauch der Rede, wenn
der Reiz persönlicher Beziehung zwischen Erzähler und
Hörer fehlt; bei weitem nicht immer hat dann die Erzählung
die Kraft, in der fremden Seele lebendig zu werden, es muß
schon eine „feine Künstlerband“ sein, die die Worte fügt.
Ich habe auch vorzügliche Erzähler kennen gelernt, die
mit eigenem Behagen, das sich sofort auf den Hörer übertrug,
den ganzen Abend erzählen konnten, und die nicht imstande
waren, das Erzählte schriftlich zu fixieren: es wurde nichts.
Man muß sich beim Schreiben ganz anders zusammenreißen,
man muß die Worte viel sorgfältiger wählen. Es ist ja charak
teristisch, daß Schriftsteller, deren Sprache den Eindruck der
unmittelbaren Rede macht. W’ie Rosegger z. B., oft ganz hart
mit dem Ausdruck ringen müssen. Es ist eben nicht richtig,
w’enn Röttger meint, was man mündlich kann, könne man auch
schriftlich. Die Tatsachen beweisen das Gegenteil. Und darum
geht es auch nicht, einfach das, was man mit den Kindern
oder zu den Kindern gesprochen hat. schriftlich Wort für
Wort wiederzugeben. Es kann ja mal glücken; aber im all
gemeinen wird’s unerträglich zu lesen sein. Es ist etwas
anderes, ob ich Auge in Auge mit einem zehnjährigen Kinde
stehe und aus einer bestimmten Situation herau-s mit ihm
spreche, oder ob ich ganz allgemein für lOjährige Kinder etw.is
zurechtschreibe.